Nr. 77, August 2021 | GWG SCHWERTE - Gut und sicher wohnen

10 Margarete Reimers hat gerade ihr Früh- stück beendet, als das Telefon klingelt – auf dem Display wird die 110, also der Notruf der Polizei, angezeigt. Ihr Puls steigt, was will wohl die Polizei? Es meldet sich ein Kommissar, der ihr vorgaukelt, sie sei in Ge- fahr und solle bestohlen werden. Deshalb will die Polizei ihr Geld und ihren Schmuck sicherstellen – und sogar der Mit- arbeiter der Bank soll mit den Ganoven un- ter einer Decke stecken. Sie solle rasch zur Bank gehen und ihr gesamtes Geld abhe- ben, sagt der angebliche Kommissar und er ruft auch gleich noch auf dem Handy von Margarete Reimers an, angeblich um das Gespräch in der Bank mithören zu können. Sie soll es eingeschaltet in die Tasche ste- cken – so will man den Bankmitarbeiter überführen. Und sie darf niemand von dem Anruf erzählen, damit die Polizeiaktion nicht gefährdet wird. Als sie von der Bank mit ihren gesamten Er- sparnissen wieder nach Hause kommt, be- fielt ihr der angebliche Kommissar, Geld und Schmuck in eine Einkaufstasche zu ste- cken und diese an die Tür zu hängen, ein „Beamter” würde die Tasche in Verwahrung nehmen und sie wäre dann sicher vor den Dieben. Psychologische Tricks und Stress Ein schlechtes Märchen? Leider nein – der sogenannte Enkeltrick funktioniert seit vie- len Jahren in zahlreichen Variationen – zu- letzt musste sogar Corona herhalten. Ein angeblicher Arzt ruft an und gaukelt die schwere Erkrankung eines Familienmitglie- des vor – um das Leben zu retten – müsste man ein nicht von der Krankenkasse be- zahltes Medikament einsetzen, das viel Geld kostet – ihr Geld! Die Kriminellen gehen mit einem großen Geschick vor, sie verstehen es, Druck aufzubauen, Angst zu schüren und mit psychologischen Tricks den angerufe- nen Informationen „abzuluchsen”. Woher kennen die Banditen eigentlich die Telefonnummer von Margarete Reimers? Sie durchforsten Telefonbücher nach „al- ten” Vornamen wie Margarete oder Hilde- gard, die auf ein höheres Alter hindeuten. Ferner werden – meist illegal – Adressen beschafft. Wenn sie also zum Beispiel bei ei- nem Gewinnspiel mitmachen, können Ihre Daten durchaus bei den Ganoven landen. Täter wiegen sich in Sicherheit Kriminalkommissarin Tina Bommert ist En- keltrick-Expertin bei der Kriminalpolizei im Ruhrgebiet. Sie schildert uns, wie das Sys- tem funktioniert: Die Täter arbeiten meist in Call-Centern in der Türkei, sind oft in Deutschland aufgewachsen, sprechen gut deutsch, sind hier straffällig geworden und wurden abgeschoben. Sie arbeiten in sehr professionellen Teams und verdienen viel Geld mit dem Enkeltrick per Telefon. Befürchten müssen sie nicht viel, denn die türkischen Behörden koope- rieren selten mit der deutschen Justiz. Tina Bommert berichtet aber von einem sel- tenen Fall, wo es zu einer Razzia in einem türkischen Call-Center kam: Es wurden Im- mobilien, Fahrzeuge, Schmuck und Bargeld im Wert von über 100 Millionen Euro sicher- gestellt. Anhand der sichergestellten Un- terlagen konnte ein monatlicher Umsatz dieses einen Call Centers von acht Millionen Euro ermittelt werden. Leider bekamen die ausgeraubten Senioren in Deutschland ihr Geld nicht zurück, es wurde vom türkischen Staat eingezogen. Geld und Schmuck verschwunden Margarete Reimers war dem psychologi- schen Druck, den die Enkeltrick-Ganoven aufgebaut haben, machtlos ausgeliefert. Am Ende des Tages war ihr gesamtes erspar- tes Geld und der Schmuck verloren. Der „Abholer”, der die Tüte mit Geld und Schmuck anonym von der Türklinke nahm, war ein Helfer, der diesen „Job” für wenig Geld erledigt. Mitunter werden die „Abholer” geschnappt, doch die eigentlichen Kriminellen in der Türkei haben nichts zu befürchten. Hohe Dunkelziffer: Viele schämen sich „Das kann mir nicht passieren”, werden jetzt viele sagen. Das dachte auch eine Seniorin aus dem Ruhrgebiet, über die Kommissarin Bommert berichtet: Obwohl sie den Enkel- Trick kannte, gelang es den Ganoven, ihr die gesamten Ersparnisse in Höhe von 160.000 Euro abzunehmen. Die Dunkelziffer ist hoch, viele schämen sich, auf diesen Trick hereingefallen zu sein und erstatten keine Anzeige, so die Kom- missarin. Infobroschüre für unsere Mitglieder Die Polizei des Kreises Unna hat für die GWG-Mitglieder eine Broschüre zum Thema Trickbetrug zur Verfügung gestellt. Die Broschüre wird zusammen mit dieser Ausgabe der Mitglieder-Zeitschrift verteilt. Achtung Enkeltrick Sie geben sich als Polizisten, Ärzte, Anwälte oder Enkel aus

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